Ein Interview mit Frederik Fischer im Schloss Blumenfeld – Tengen
Kerstin Müller
Wir sitzen hier im Schloss lieber Frederik, im Co-Working Raum in der 1. Etage. Hier sind lauter kaputte Wände und es ist einfach eine echt coole Location. Und jetzt würde ich dich einfach mal gerne fragen: Wie fühlt sich das eigentlich an, an drei Orten in Deutschland in einem Jahr den Summer ofPioneers gestartet zu haben?
Frederik Fischer
Ein super Gefühl. Gerade jetzt nach Corona, denn im letzten Jahr mussten wir pausieren. Und jetzt halt wirklich an drei Orten starten zu können ist toll, wenn man einfach sieht, die Idee kommt an und funktioniert . Und bislang muss ich echt sagen an allen Standorten läuft es super. Und ich bin jetzt schon ganz neugierig und gespannt, wie wir dann in einem halben Jahr auf die Zeit zurückblicken, was da alles entstanden ist.
Kerstin Müller
Ist das eigentlich dein persönliches Baby gewesen? Erklär doch mal kurz den Zuhörer:innen, was überhaupt der Summer of Pioneers ist.
Frederik Fischer
Es ist ein Programm zum Probewohnen und Coworking auf dem Land mit der Zielgruppe, insbesondere für Großstädter:innen und Kreative. Wir merken, es gibt ganz viele in den Großstädten, die wünschen sich ein anderes Leben, aber trauen sich irgendwie nicht so richtig. Und das ist auch nachvollziehbar, weil es gehört ja tatsächlich eine Menge dazu, so neues Leben auf dem Land zu starten. Das ist kein kleines Wagnis und insofern spüren wir auch, dass das Angebot sehr gut angenommen wird.
Und wir sehen auch in Wittenberge, wo das schon stattgefunden hat, haben über die Hälfte der Pioniere auch tatsächlich ihren Erstwohnsitz dahin verlagert. In Homberg haben jetzt auch schon rund die Hälfte, also 10 der Pioniere, auch schon gesagt, sie wollen auf jeden Fall länger dort bleiben. Also man merkt, es funktioniert, wenn die Leute einmal das Landleben kennengelernt haben. Insbesondere in dieser Kombination aus Coworking, Coliving, die Community und auch die Unterstützung durch die Verwaltung.
Wir stellen zusammen mit Kommunen so eine Art Rundum-Sorglos-Paket zusammen. Das ist zum einen eine möblierte Wohnung und zum anderen Coworking Space. Und zum dritten, und das ist nicht unwesentlich, ist es eben die Community, dass wir 20 Kreative zusammen, mit denen man gemeinsam dieses Abenteuer starten kann
Und als Gegenleistung für dieses Rundum-Sorglos-Paket bitten wir dann aber die Pioniere, sich mit Projekten für die Stadt und für die Menschen in der Stadt einzusetzen. Und auf dem Weg kommt man dann eben auch in den Austausch. Das ist auch ganz wichtig, dass das jetzt nicht nur irgendwie eine Blase ist, die so parallel existiert, sondern dass wir wirklich dafür sorgen, dass es dann richtigen Austausch und im Idealfall eben auch gemeinsame Projekte gibt.
Kerstin Müller
Wie ist denn diese Idee 2019 entstanden? War das dein persönliches Baby? Wie muss man sich das vorstellen? Hast du abends mit Freunden zusammengesessen und gedacht: Das wäre doch jetzt mal eine coole Idee? Wie geht man denn so etwas an? Also wie hast du denn damals in Wittenberge den Bürgermeister kennengelernt? Kanntest du den? War das eine spontane Geschichte? Wenn du sagst wir. Wen meinst du damit? Wer ist denn da im Hintergrund noch alles aktiv?
Frederik Fischer
Also wir sind momentan sechs Personen. Ich hab die Agentur Neulandia gegründet. Ein Kollege Jonathan ist auch in Vollzeit dabei und schmeißt auch gerade das Projekt in in Homberg. Ganz toll. Und dann haben wir noch verschiedene freie Mitarbeiter, unter anderem z.B. hier Vanessa im Schloss Blumenfeld. In Altena ist es Christina. Und das ist besonders toll, weil das sind quasi Alumni aus dem ersten Summer of Pioneers. Sie können jetzt ihre Erfahrungen direkt einbringen.
Und dann arbeiten wir noch mit Grafikern, mit Menschen, mit PR Hintergrund zusammen. Aber wir sind noch ganz klein. Und die Idee ist entstanden, eigentlich durch einen Zufall. Unser Hauptprojekt ist ja oder war bislang das Kodorf. Da bauen wir komplette Quartiere, sagt man da städtebaulich eher in ländlichen Räumen ansiedelt. Es sind viele kleine ökologisch gebaute Holzhäuser und große Gemeinschaftsflächen mit Coworking Space, Veranstaltungsräumen und vieles mehr.
Und die Herausforderung dabei ist aber immer ausreichend große Grundstücke zu finden, weil wir brauchen schon mindestens eineinhalb Hektar, besser zwei und das ist gar nicht so leicht zu finden. Und in Wittenberge bin ich eigentlich vorstellig geworden, weil wir dort auch ein Kodorf aufbauen wollten. Das hat der ehemalige Staatssekretär für Digitalisierung initiiert, der unterstützt und quasi vom ersten Tag an und er hat gesagt Wittenberge ist super. Guckt euch das mal an. Und das haben wir getan. Aber kamen dann eben auch wieder zu dem Schluss, die Kommune hätte da Lust zu, hat aber einfach keine passenden Flächen.
Und ich war dann aber so begeistert von Wittenberge, dass ich gesagt habe, dass irgendwas muss doch hier gehen müsste. Und als dann der Bauamtsleiter gesagt hat, die haben hier noch einen relativ hohen Leerstand in kommunaler Hand, ist dann die Idee langsam entstanden. Wir müssen ja nicht notwendigerweise bauen. Diese Idee, eine Gemeinschaft von Kreativen und Großstädtern aufs Land zu holen, können wir auch im Leerstand umsetzen. Und so ist der Summer of Pioneers entstanden.
Kerstin Müller
Ja, superspannend. Wir sitzen ja jetzt hier in der Stadt Tengen. Ich glaube, es gibt neun Gemeinden, die dazugehören. Und wir beide sitzen in Blumenfeld im schönen Schloss Blumenfeld. Es ist wirklich ein altes Schloss. Es ist sehr verwinkelt. Manchmal sieht man die Pioniere den ganzen Tag nicht. 😂
Der Bürgermeister hier ist Marian Schreier. Wie hast du ihn kennengelernt?
Frederik Fischer
Er war der erste Bürgermeister überhaupt, der sich bei uns gemeldet hat, als wir vor rund drei Jahren zum ersten Mal diese Kodorf Idee publiziert haben. Wir haben ja im Endeffekt einen öffentlichen Aufruf gestartet und gesagt, dass das unser Konzept ist, unsere Idee. Welche Kommune hat Lust, das gemeinsam mit uns umzusetzen? Und auf dem Weg sind Marian Schreier und ich zusammengekommen. Auch da hat es dann mit dem Kodorf nicht direkt geklappt. Aber wir kamen dann einfach nochmal zusammen, weil wir gesagt haben, okay, es gebe halt noch dieses Schloss und vielleicht kann man damit irgendwas machen.
Und im Endeffekt ist es dann ähnlich gelaufen wie in Wittenberge. Also das Kodorf hat auf Anhieb nicht geklappt, aber es gab eben auch kommunalen Leerstand und der hat sich super geeignet für den Summer of Pioneers.
Kerstin Müller
Ich habe mir vor kurzem die Kodorf-Fläche in Wiesenburg angeschaut. Ist es das erste Kodorf was wirklich umgesetzt wird oder gibt es noch ein weiteres?
Frederik Fischer
Also in Wiesenburg ist es das erste Kodorf, das wir gestartet haben im Sinne von wir haben da die Community aufgebaut, da sind auch alle Plätze tatsächlich weg. Im Endeffekt die ganze Nachbarschaft besteht schon, aber die Baubeschaffung ist dort so zäh, weil wir da auch einfach ein sehr kompliziertes Grundstück haben. Das ist ein ehemaliges Sägewerk, das nach der Wende lange als eine Art öffentliche Müllkippe genutzt wurde. Wir haben Altlasten und es gibt ganz viele Themen, die wir mit berücksichtigen müssen und die einfach verschiedene Planungsbehörden auch beschäftigt.
Landkreis, das Land, die Kommune sind beteiligt. Das ist einfach ein dickes Brett. Insofern kann es tatsächlich sein, dass das zweite Kodorf in Erndtebrück NRW früher fertig wird, weil da ist das Grundstück einfach ein bisschen unkomplizierter ist und da kommen wir einfach schneller voran. So oder so werden wir auf jeden Fall Anfang nächsten Jahres (2022) mit dem Bau beginnen können, vielleicht tatsächlich auch an beiden Standorten direkt.
Das wird aber nochmal eineinhalb Jahre dauern, bevor die Leute einziehen können. Insgesamt dauert es schon vier Jahre, von einer ersten Besichtigung bis zum Einzug. Und insofern, ja, bin ich total froh, dass wir jetzt auch mit dem Summer of Pioneers ein Format gefunden haben, was einfach schneller in die Umsetzung kommt. Ich bin ein sehr ungeduldiger Mensch und ja, wenn er wirklich froh, dass wir hier einfach direkt ins Tun kommen,
Kerstin Müller
Was wünschst du dir für die Zukunft in den ländlichen Gegenden? Also was würdest du dir zum Beispiel wünschen, was hier in Tengen passiert? Wie würde das aussehen in einem halben Jahr, wenn die Pionier:innen weggehen?
Frederik Fischer
Also im Idealfall haben wir ein Konzept oder mehrere Konzepte vielleicht entwickelt, die wirklich belastbar sind. Wenn man einfach merkt, es wird vor Ort angenommen und dass es sich lohnt, da eben auch weiter zu investieren. Im Sinne von einfach weiter daran zu arbeiten. Und im Idealfall haben wir auch direkt aus dem Kreis der Pionier:innen einige, die sagen: Mir hat das hier so gut gefallen. Ich würde gern hierbleiben. Und die engagieren sich dann vielleicht entweder wirklich für das, was hier im Schloss entsteht, aber vielleicht alternativ auch andere Möglichkeiten, sich in Tengen in der Kernstadt vielleicht irgendwie einzubringen oder arbeiten einfach von hier und genießen das Landleben.
Und was meine Hoffnung ganz allgemein sind für für die ländlichen Räume ist, dass wir aus den Fehlern der Großstadt lernen. Einerseits und andererseits auch aus den Fehlern, die natürlich auch in den ländlichen Räumen zu sehen sind. Dass wir dort eine eine Gemeinwohl orientierte Regionalentwicklung hinbekommen. Und dieses Thema Gemeinwohl halte ich eigentlich für eines der zentralen überhaupt für Deutschland.
Weil da ist in den letzten Jahrzehnten einfach wirklich viel schief gelaufen. Nicht nur hier, sondern überall. Und ich würde behaupten, viele gesellschaftliche Verwerfungen, die wir gerade merken, die hängen genau daran, dass wir zwar irgendwie sehen, die Wirtschaft wächst und wächst, aber es ist völlig unklar, was haben wir jetzt eigentlich irgendwie ganz persönlich und auch als Gesellschaft davon, weil Wirtschaftswachstum alleine ist nicht genug. Das merken wir, glaube ich, ganz deutlich.
Kerstin Müller
Frederik. Vielen, vielen Dank. Wir hoffen, dass das hier im Schloss alles gut läuft. Ich bin absolut guter Dinge. Eine letzte Frage: Wie viel Summer of Pioneers wird es denn noch geben?
Frederik Fischer
Von mir aus nach oben alles offen. Wir würden das gern in allen Kommunen machen, die es in Deutschland gibt und vielleicht auch international.