Ein Interview mit Marian Schreier im Rathaus der Stadt Tengen
Kerstin
Mir gegenüber sitzt Marian Schreier. Er ist Bürgermeister von der Stadt Tengen und das wurde er mit 25 Jahren, nur vor ein paar Jahren. Er ist SPD Mitglied und evangelisch, was schon per se hier in der Region eine kleine Sensation ist. Wir sprechen heute über den Summer of Pioneers und warum das Schloss Blumenfeld ihm am Herzen liegt. Herzlich Willkommen, Marian Schreier.
Wie ist das als Schlossherr wieder in einem belebten Schloss zu sein?
Marian Schreier
Das ist ersteinmal ganz ungewohnt, weil das Schloss Blumen seit etwas mehr als vier Jahren ungenutzt ist und es freut mich sehr, dass jetzt wieder Leben eingekehrt ist. Wenn man vorbeiläuft, dann sieht man, dass das Schlosstor offen ist. Oder wenn man abends in Blumenfeld unterwegs ist, dass die Fenster beleuchtet sind. Insofern, wirklich große Freude darüber. Und ich glaube, es geht nicht nur mir so, sondern vielen Blumenfelder:innen. Die dann auch neugierig ins Schlosstor reinschauen und sich fragen, was da jetzt alles neues im Schloss passiert.
Kerstin
Als Sie vor sechs Jahren nach Tengen kamen, war einer ihrer ersten Amtshandlungen, das im Schloss ansässige Altersheim zu schließen – das war wahrscheinlich eine traurige Angelegenheit. Es war immerhin 130 Jahre geöffnet. Der Einstieg als Bürgermeister war also gleich von Anfang an mit dem Schloss Blumenfeld verbunden. Wie wurde das denn hier aufgenommen?
Marian Schreier
Das ist in der Tat sehr einschneidend gewesen. Vielleicht zum Hintergrund. Mehr als130 Jahre Nutzung, Krankenhaus und Pflegeheim. Als ich Bürgermeister wurde im Jahr 2015, war klar, dass das Pflegeheim in einer finanziell sehr schlechten Verfassung ist. Wir hatten Verluste von mehr als eine halbe Millionen Euro pro Jahr. Insgesamt im Zeitraum 2010 bis 2016, knapp 5 Millionen Euro als Verluste. Das ist für eine Gemeinde mit einem durchschnittlichen Haushalt von 13 Millionen Euro schon sehr viel Geld. Deswegen haben wir im Gemeinderat dann die schmerzhafte Entscheidung treffen müssen, das Pflegeheim zu schließen. Schmerzhaft nicht nur wegen der Heimplätze und der Beschäftigten dort, sondern es hat einfach eine sehr sehr große Bedeutung für Blumenfeld und die Stadt insgesamt hat.
Das Schloss ist ein Treffpunkt gewesen. Es ist ein Denkmal. Einfach ein Gebäude, was einen hohen emotionalen Wert für die Bevölkerung auch hat. Die Entscheidung selbst ist relativ gut aufgenommen wurden, beziehungsweise wurde nachvollzogen in der Bevölkerung. Einfach weil klar war, dass die wirtschaftliche Belastung für die Stadt zu groß war und weil absehbar war, dass die Handlungsfähigkeit der Stadt auch verloren geht, wenn das Pflegeheim nicht geschlossen wird. Aber natürlich ist es erstmal ein sehr trauriger und schwieriger Moment für die Stadt gewesen. Es stellt sich auch schnell die Frage, wie geht es dann weiter mit dem Gebäude? Wie können wir Schloss Blumenfeld wieder beleben? Und was soll dort in Zukunft passieren?
Kerstin
Wir haben ja als Pioniere, die wir jetzt gerade in dem Schloss leben, im Sommer 2021, schon gemerkt, dass das Schloss denn Blumenfelder:innen schon sehr am Herzen liegt. Es gab zwischen 1978-80 eine große Rettungsaktion der Blumenfelder:innen. Das heißt 5.000 Freiwilligenstunden wurden hier verrichtet, um das Schloss zu retten. Ich glaub, es ging hauptsächlich um das Dach. Hat man ihnen diese Geschichte erzählt und ist das typisch für die Menschen, die hier leben, dass die wirklich so eine Aktion auf die Beine stellen?
Marian Schreier
Ja, die Geschichte kenne ich. Die ist mir tatsächlich schon im Wahlkampf erzählt worden. Sie steht eigentlich stellvertretend für die Haltung und den Geist, den es in Blumenfeld und in der gesamten Stadt gibt. Also damals ist das auch eine existentielle Situation für das Schloss gewesen, weil das baulich in einem maroden Zustand war – vor allen Dingen das Dach – aber auch andere Teile. Und die Frage war, was passiert jetzt mit dem Schloss?
Es gab damals einen großen Aufruf. Der Landrat Maus ist dort auch intensiv engagiert gewesen, wenn ich das richtig erinnere. Der hat ja beim Schätzele-Markt, bei der Kundgebung, die Bevölkerung aufgerufen mitzuhelfen. Und man hat dann im Verlauf mehrerer Jahre das Dach wieder hergerichtet. Ja, das zieht sich so durch, durch viele Episoden der Geschichte der Stadt Tengen und den Ortsteilen, dass wir ein unglaublich großes bürgerschaftliches Engagement haben.
Man kann das auch heute noch sehen. Wir haben beispielsweise 60 Vereine auf rund 4.700 Einwohnerinnen und Einwohner. Das ist schon sehr viel. Das ist nicht selbstverständlich, dass es so ein breites bürgerschaftliches Engagement gibt. Wir haben im Jahr 2015/6 eine große Bürgerschaftsumfrage gemacht und da haben sich rund die Hälfte aller Haushalte beteiligt. Dort haben wir auch abgefragt, engagieren Sie sich? Sind Sie freiwillig aktiv? Wenn man all die Stunden aufsummiert, die damals genannt worden sind in der Haushaltsumfrage, dann kamen wir auf ein Engagement, wenn ich das richtig erinnere, von 1.800 Stunden pro Woche. Was also wirklich ein enorm hoher Wert ist.
Es zeigt eben, dass die Frage des Engagements schon eine sehr wichtige für die Bürgerinnen und Bürger in der Stadt ist. Nur so kann man das Leben in einer kleinen Gemeinde auch organisieren. Weite Teile des kulturellen und des öffentlich-sozialen Lebens stehen natürlich auf dem Engagement in den Vereinen, in denen sich Menschen in ihrer Freizeit einbringen.
Kerstin
Nach der Schließung gab es ja ein paar Versuche das Schloss wiederzubeleben. Ich glaube, es gab eine Architektenausschreibung und man hat überlegt, da vielleicht ein Hotel reinzumachen. Wie kamen Sie denn auf den Summer of Pioneers?
Marian Schreier
Als aller erstes haben wir versucht das Schloss, ganz klassisch, zu verkaufen, über einen Makler. Da gab es auch unterschiedliche Interessenten, aber kein Konzept was am Ende des Tages tragfähig war. Wir haben dann versucht auch Ideen zu entwickeln zusammen mit Studierenden von der Hochschule aus Konstanz. Architekturstudierende, die drei Konzepte entwickelt haben. Das Kulturzentrum hatte aber auch eine Variante die aus Co-living und Co-working besteht, das ist so ähnlich wie wir das heute auch sehen. Das Thema Beherbergung spielte immer wieder eine Rolle. Wir haben dann im vergangenen Jahr 2020 einen Architekturwettbewerb ausgelobt. Da war die Idee, dass wir nicht nur planerische Ideen finden, sondern dann auch gleich jemanden finden, der bereit ist, das Ganze umzusetzen. Da gab es anfangs auch Interessenten, aber am Ende des Tages dann keine prüffähigen Ergebnisse, die man hätte bewerten können. Sodass auch der Wettbewerb ohne Ergebnis endete.
Ich bin dann im Gespräch mi Frederik Fischer auf die Idee gekommen: wäre das nicht eine gute Idee, den Summer of Pioneers im Schloss durchzuführen? Ich hatte das in Wittenberge mitverfolgt. Wir sind schon seit längerer Zeit in Kontakt und waren dann relativ schnell bei dem Punkt, dass wir sagten, ja das wäre doch eine spannende Geschichte das im Schloss zu machen!
Für uns ist das ein Impuls, oder soll der Auftakt sein, das Schloss wiederzubeleben. Wir haben in den letzten Jahren, kann man sagen, alles konventionelle versucht: der Makler, wie gesagt, der Architekt und Planungswettbewerb. Und jetzt wollen wir es auf unkonventionellem Wege versuchen. Also dass wir nicht erstmal lange Ideen entwickeln, sondern dass wir gleich in die Phase des Ausprobierens gehen.
Das ist mir wichtig, dass wir Planen und Ausprobieren miteinander verbinden, miteinander verschränken. Und das wir darüber einen Impuls bekommen, das Schloss wieder zu beleben.
Kerstin
Sie haben den Namen Frederik Fischer genannt. Das nächste Interview wird mit Frederik Fischer sein. Der wird dann auch erklären, was der Summer of Pioneers genau ist und was das überhaupt bedeutet. Wir sind schon bei der letzten Frage. Ganz toll, dass ich Sie interviewen durfte und dass es diesen Summer of Pioneers gibt. Was würden Sie sich für die Zukunft des Schlosses denn wünschen? Also ruhig auch mal träumen!
Marian Schreier
Als erstes wünsche ich mir, dass die sechs Monate erfolgreich sind. Das was wir bislang gesehen haben, stimmt mich da schon sehr zuversichtlich. Ich habe es vorhin gesagt, dass das Schloss jetzt wieder beleuchtet ist abends, dass Menschen ein und aus gehen. Wir haben erste Veranstaltungen schon gehabt. Das finde ich, ist ein erster Erfolg des Projektes.
Der große Wunsch wäre natürlich, dass wir darüber jetzt den Anschluss bekommen, das Schloss dauerhaft wieder zu nutzen. Ich glaube, dass es einer multifunktionale Nutzung gebraucht. Dass wir also unterschiedliche Elemente haben: Dort kann Coworking stattfinden wie es jetzt der Fall ist, dort kann es aber auch temporäre Wohnangebote geben, für Seminare, für Projekte, oder jemand der für einen mehrwöchigen Schreibaufenthalt im Schloss ist.
Das Thema Veranstaltungen, glaube ich, kann eine große Rolle spielen, weil sich Schlosshof, Schlossgarten und natürlich auch die Räumlichkeiten im Schloss dafür eignen, für Veranstalungen ganz unterschiedlichster Art im kulturellen Bereich, Konzerte, Lesungen, aber ich denke auch an Workshops. Es gibt jetzt auch Klausurtagungen, die stattfinden sollen, während der sechs Monate.
Und dann natürlich das Schlosscafe, was der zentrale Begegnungsort ist. Also wenn man den Schlosshof betritt, dass man dort gleich sieht, dass sich Menschen begegnen und treffen.
Mein Wunsch wäre, dass wir genau diese multifunktionale Nutzung hinbekommen. Dass wir also unterschiedliche Nutzungen haben, die im Schloss parallel stattfinden, weil sich das auch gegenseitig nochmal verstärken kann. Ich glaube, das ist das, was das Schloss so reizvoll machen kann. Nicht nur, dass es ein historisches Gemäuer ist, sondern dass eben unterschiedliche Dinge parallel passieren. Dann kann es wirklich ein Zukunfts- oder Innovationsort werden, weil es lebt davon, dass Menschen von unterschiedlichen Hintergründen und Perspektiven sich begegnen. Das wäre mein Traum für Schloss Blumenfeld.